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SCHMERZ IST NICHT DIE REGEL

(22.03.2021)

Für viele junge Frauen ist die erste Periode ein besonderes Ereignis auf dem Weg ins Erwachsenenleben. Für Martina Thurner hieß es ab diesem Zeitpunkt jedoch vor allem eins: Schmerzen bis zum Umfallen. Dass die Schmerzen durch eine gynäkologische Erkrankung verursacht werden, sollte sie erst 20 Jahre später erfahren. Martina Thurner hat Endometriose und ist damit nicht alleine. Denn ist sie eine von zehn Frauen in Deutschland mit dieser Erkrankung.

„Die Schmerzen waren teilweise so heftig, dass ich ohnmächtig wurde.“ So erinnert sich Martina Thurner an die ersten Jahre ihrer Periode zurück. Sie hatte ihre Regel damals mit 12 Jahren bekommen. Die ersten zwei bis drei Tage der Blutung waren immer besonders schlimm. Helfen konnte der heute 43-Jährigen jedoch damals niemand, denn Schmerzen während der Periode seien doch normal, so die allgemeine Auffassung. Mit 16 Jahren bekam Martina die Pille von ihrem Frauenarzt verschrieben. Dadurch wurden die Schmerzen zwar etwas gelindert, trotzdem hatte sie weiterhin Beschwerden. Zudem kamen häufige Harnwegsinfektionen, Blasenentzündungen, sogar eine Nierenbeckenentzündung hinzu.

RATLOSIGKEIT UND UNGEWISSHEIT

Mit Anfang zwanzig war Martina schließlich mit ihrem ersten Kind schwanger. Ihr Baby kam mit einem Notkaiserschnitt auf die Welt. Bei der Operation stellten die Ärzte ungewöhnlich viele Verwachsungen in Martinas Bauch fest. Auch beim Kaiserschnitt bei der Geburt ihres zweiten Kindes waren diese Verwachsungen zu sehen. „Doch niemand konnte sich erklären, woher diese Verwachsungen kamen“, berichtet die zweifache Mutter. Zudem wurden die Periodenschmerzen nach der Geburt ihres zweiten Kindes immer schlimmer - trotz Pille. Der Gesundheitszustand von Martina verschlechterte sich zunehmend. Es folgten Darmprobleme, Nierenprobleme, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr.

IHR LANGER WEG ZUR DIAGNOSE

Viele Stunden und Tage verbrachte Martina Thurner in Kliniken, ließ Untersuchung um Untersuchung über sich ergehen: Röntgen, MRT. Doch eine Diagnose blieb aus. Schließlich musste Martina erneut operiert werden. Bei der Operation sahen die Ärzte, dass Gewebe in ihren Darm gewachsen war, das dort nicht hingehörte. Die Gewebeproben gaben endlich Gewissheit. Martina Thurner hat Endometriose. Eine gynäkologische Erkrankung, bei der sich Gewebe, das wie Gebärmutterschleimhaut ist und sich so verhält, in anderen Regionen des Körpers bildet und dort zu schmerzhaften Verwachsungen führt. Die Diagnose bekam Martina mit 31 Jahren, fast zwanzig Jahre nachdem die Schmerzen auftraten.

ENDOMETRIOSE BLEIBT HÄUFIG ZU LANGE UNERKANNT

Mit ihrem langen Weg zur Diagnose Endometriose ist Martina Thurner nicht alleine. Durchschnittlich dauert es sechs bis 10 Jahre, bis die Krankheit diagnostiziert wird. PD Dr. Sebastian Häusler, Leitender Arzt der Abteilung für Gynäkologische Onkologie in der Klinik St. Hedwig und Experte auf dem Gebiet Endometriose, erklärt das Problem: „Endometriose ist nur durch einen operativen Eingriff, eine Bauchspiegelung, eindeutig feststellbar. Bei einer Ultraschalluntersuchung oder einer MRT-Untersuchung sind die Erkrankungsherde nicht sicher auszuschließen. Das macht eine exakte Diagnose für niedergelassene Gynäkologen schwierig“.  Dabei ist Endometriose eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen in Deutschland. Man schätzt, dass bis zu 15 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter von einer Endometriose betroffen sind.

NOCH VIEL FORSCHUNG NÖTIG

Bei Endometriose liegt Gebärmutterschleimhaut auch außerhalb der Gebärmutterhöhle vor, am häufigsten im Bauchraum, an den Eierstöcken, seltener an Darm oder Blase. Wie die Gebärmutterschleimhaut auch, reagieren diese Zellen auf die hormonellen Veränderungen während des weiblichen Zyklus. Während bei der normalen Regelblutung die Schleimhaut abtransportiert wird, ist dies bei den Endometrioseherden außerhalb nicht möglich. Dadurch können diese über längere Zeit wachsen, sterile Entzündungen verursachen und schließlich darüber zu Verklebungen und Vernarbungen führen. Warum diese Endometrioseherde entstehen, ist bis heute noch nicht geklärt. Mit verschiedenen Behandlungsmethoden kann man den Betroffenen jedoch häufig eine Erleichterung der Beschwerden verschafften.

THERAPIE DURCH SPEZIALISTEN

Die Behandlung der Endometriose kann auf unterschiedliche Art erfolgen, je nachdem, welche Symptomatik oder welche Probleme im Vordergrund stehen. In der Klinik St. Hedwig werden hormonelle Therapien, unterschiedliche Schmerztherapiekonzepte und ergänzende Verfahren wie Physiotherapie, elektrische Nervenstimulation und Psychotherapie angeboten. Alternativ ist eine operative Entfernung der Endometrioseherde möglich. Bei größeren organüberschreitenden Eingriffen arbeiten die Gynäkologen in der Klinik St. Hedwig mit ihren Kollegen und Kolleginnen aus der Chirurgie und Urologie zusammen.

WAS KANN MAN TUN?

PD Dr. Häusler rät sowohl den Frauen als auch den niedergelassenen Gynäkologen, wachsam für Symptome zu sein. Die klassischen Symptome sind Schmerzen während und auch vor der Regelblutung, hinzukommen oft auch Schmerzen beim Geschlechtsverkehr sowie beim Stuhlgang oder Wasserlassen. Ist es bereits zu Verwachsungen oder narbigen Veränderungen gekommen, treten die Beschwerden gegebenenfalls auch außerhalb des Zyklus auf. Zudem ist die Endometriose sehr häufig eine Mitursache für einen unerfüllten Kinderwunsch. Besteht also die Vermutung einer Endometrioseerkrankung, rät er zu einem Besuch in der Klinik. „Wir bieten eine wöchentliche Endometriosesprechstunde an, bei der wir den Frauen beratend zur Seite stehen“, informiert Häusler.

„WIR SIND KEINE HYPOCHONDER“

Neben der Behandlung durch Ärzte hilft es den Patientinnen häufig auch, sich mit Betroffenen austauschen. Eine Möglichkeit dafür bieten Selbsthilfegruppen. Martina Thurner gründete 2016 selbst eine Selbsthilfegruppe in Ingolstadt. „Teilweise hatte ich 24 Stunden am Tag und jeden Tag Dauerschmerzen“, beschreibt Martina ihren Krankheitsverlauf. „Es fühlte sich an, als würde ich in der Mitte auseinanderreißen, oder als hätte eine Bombe in meinen Unterleib eingeschlagen“. Vielen der Mitglieder der Selbsthilfegruppe geht es ähnlich. Durch den Austausch erkennen die Frauen, dass sie nicht alleine mit ihren Problemen sind und sie sich ihre Beschwerden nicht einbilden. Martina Thurner möchte den Frauen Mut zusprechen, nicht aufzugeben. Zusammen mit ihrer Selbshilfegruppe organisiert sie Vorträge und macht im Rahmen eines Gesundheitstages auf die Krankheit aufmerksam. „Ich wünsche mir mehr Anerkennung der Krankheit“, so Thurner. „Wir haben wirklich Schmerzen und sind keine Hypochonder.“