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Kein Land für Kinder?

(17.10.2014)

Umfragen zufolge ist Deutschland in Sachen Kinderfeindlichkeit Europameister. Und tatsächlich datiert das erste Tierschutzgesetz hierzulande aus dem Jahr 1933, während es beim Kinderschutz erst 2012 soweit war. Umso wichtiger ist es soziale Netzwerke zu schaffen, die einen effektiven und umfassenden Schutz des Kindeswohls sichern – von Anfang an.

Am vergangenen Dienstag, 14. Oktober fand im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg unter Leitung des Direktors der KUNO Kliniken, Prof. Dr. Michael Melter, eine Auftaktveranstaltung zum Thema ‚Prävention und Kinderschutz in Ostbayern' statt. Drei wichtige ‚Maschen' des Regensburger Netzwerkes zum Kinderwohl stellten an diesem Abend ihre interdisziplinäre Zusammenarbeit vor: Die koordinierenden Kinderschutzstellen (KoKi), deren Angebot sich an Schwangere und Eltern mit Kindern von null bis zehn Jahren richtet. Die Klinik und Poliklinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am Krankenhaus St. Hedwig der Barmherzigen Brüder, wo unter anderem auch Schwangere mit psychischen Erkrankungen betreut und therapiert werden sowie die Kinderschutzgruppe (KSG) an der KUNO Kinderklinik St. Hedwig unter Führung von Oberarzt Dr. Thomas Lang.

Die KoKi stehen ganz in der ersten Reihe des Kinderschutzes, denn dort kümmert man sich um Schwangere oder frisch gebackene Eltern, denen die großen Herausforderungen, die ein Baby oder Kleinkind mit sich bringt, über den Kopf zu wachsen drohen. "Wir sind für diejenigen da," so Michaela Geisberger von den KoKi im Landkreis Regensburg, "die aufgrund ihres jungen Alters oder ihrer persönlichen, familiären und sozialen Umstände das Gefühl haben, mit der Situation als Eltern einfach alleine nicht klar zu kommen." Sei es durch praktische Beratung, die Vermittlung einer Hebamme oder im Kampf durch den Ämterdschungel. Dabei sei man allerdings stark auf die Unterstützung insbesondere von Frauenärzten, Hausärzten sowie Kinder- und Jugendärzten angewiesen. Denn diese könnten als erste die feinen Anzeichen von eventuellen Risikofaktoren bei ihren Patienten sehen. In solchen Fällen sollten die Mediziner – stets im Einvernehmen oder sogar gemeinsam mit ihren Patienten – ruhig als aktive Vermittler zu den Kinderschutzstellen tätig werden. Ein Anruf genügt. Die Angebote der KoKi sind unbürokratisch, kostenlos und auf Wunsch auch anonym. Man bekommt die Hilfe, die notwendig ist, um seinem Kind den Weg in behütete, erste Lebensjahre zu ebnen. Die Möglichkeiten sind da, es gilt schlicht sie zu nutzen.

Dr. Georgine Huber aus der Klinik St. Hedwig berichtete von Risikoschwangerschaften der ganz anderen Art. Die engagierte Medizinerin betreut in erster Linie Schwangere mit psychischen Belastungen oder Drogen- und Medikamentenabhängigkeiten. "Depressionen, Angst- und Panikstörungen, Zwangsstörungen oder posttraumatische Belastungsstörungen - das Spektrum ist weit und die Fälle gar nicht so selten", so die Frauenärztin. Psychische Erkrankungen seien immer auch stigmatisierend, das mache es besonders schwer an die Patientinnen heranzukommen und ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. "Aber gerade in solchen Fällen ist die Prävention zum späteren Wohle der Kinder unerlässlich" so Dr. Huber. Dies gelinge aber nur in einer engen Zusammenarbeit aller Beteiligten: den niedergelassenen Frauen- und Kinderärzten, den Klinikärzten und Psychologen, den Sozialdiensten, öffentlichen Einrichtungen wie KoKi – und natürlich den Patientinnen selbst. Und so schloss Dr. Huber auch mit zwei optimistisch stimmenden aktuellen Beispielen aus ihrem Alltag, wo es durch genau dieses funktionierende Netzwerk und trotz widriger Umstände gelang, nach der Geburt eine gute und stabile Mutter-Kind-Beziehung aufzubauen. 

Da die beschriebenen Präventionsmöglichkeiten bislang nur einen geringen Teil der Problemfälle abdecken, greift im Notfall eine sogenannte Kinderschutzgruppe (KSG), wie sie auch in der Klinik St. Hedwig etabliert ist. KSG gibt es seit 2005 vereinzelt in deutschen Krankenhäusern, seit 2008 besteht zwischen diesen eine bundesweite Kooperation. "Die KSG kümmert sich um Kinder, die misshandelt, vernachlässig oder missbraucht wurden", erklärt Dr. Thomas Lang. Der Oberarzt für Kinder- und Jugendmedizin leitet die Gruppe bei den Barmherzigen Brüdern. Manchmal seien Misshandlungen offensichtlich, manchmal sei aber die Not der Kinder nur schwer zu erkennen. Auch für die KSG zählt der interdisziplinäre Ansatz, auch hier besteht ein enges Netzwerk. Pädiater, Gynäkologen und Kinderchirurgen auf ärztlicher Seite sowie die Pflege, der Sozialdienst und die Psychologen bilden gemeinsam den Kern der Kinderschutzgruppe. Dazu kommen bei Bedarf weitere kinderärztliche Disziplinen, die Seelsorge und das Jugendamt. In jedem Fall einer Kindesmisshandlung kommt ein definierter Prozess gemäß den ‚Empfehlungen für Kinderschutz in Kliniken' in Gang. Dieser stellt sicher, dass alles Notwenige zum Schutz des betroffenen Kindes unternommen wird.

Kein Land für Kinder? Kinder sind der Anfang der Zukunft und das wichtigste Gut jeder Gesellschaft – erst recht einer alternden. Dies gilt es zu schützen. Gemeinsam.